„Oft haben sie geweint.“

2014 bin ich nach Österreich gekommen. Bei Behörden wurde mir oft gesagt: „Kein Englisch! Wir sind hier in Österreich, da musst du Deutsch reden!“ Sie haben mir mit Absicht verweigert, auf Englisch zu antworten. Also habe ich versucht, so schnell wie möglich Deutsch zu lernen. In Syrien konnte ich bereits Englisch, Kurdisch und Arabisch sprechen. Das war ein Vorteil. Hier habe ich Dolmetschen studiert. Ich hatte zwar schon in Syrien damit angefangen, musste aber wegen des Krieges abbrechen.

Nach Syrien zurückzugehen ist für mich nicht wirklich eine Option. Der Krieg wird bestimmt noch 10, 15 Jahre dauern. Und meine Frau kommt bald über Familienzusammenführung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) nach. Das bedeutet: Dabei übernehme ich die Verantwortung für die Person, die nachkommt. Ich zahle die Versicherungen, übernehme das finanzielle Risiko usw. Deswegen ist dieser Prozess leichter als Familienzusammenführung nach dem Asylgesetz (AsylG). Inzwischen kenne ich mich mit diesen Gesetzen schon ganz gut aus. Aber manche Behördenbriefe sind so kompliziert, dass wir im Team auch nicht verstehen, worum es geht. Wie soll jemand mit Sprachniveau A1 solche Briefe verstehen?

Herausfordernd ist für mich in der MIB das Thema Abgrenzung. Oft habe ich in meinen Pausen gearbeitet, gleichzeitig telefoniert und gegessen. Am Anfang war es auch sehr anstrengend, durch die Arbeit ständig mit meiner eigenen Geschichte konfrontiert zu werden. In der Rechtsberatung war es sehr heftig mit den Minderjährigen, wenn sie erzählt haben, dass ihr Vater im Krieg ermordet wurde, dass ihr Haus zerstört wurde ... Oft haben sie geweint. Das war für mich als Dolmetscher nicht leicht. Aber sie mussten ihre Geschichten erzählen, um sich für die Termine am BFA vorzubereiten, denn dort haben sie keine andere Wahl. Ich habe regelmäßig Quartiere besucht. Das war so schlimm. Manche Minderjährige wollten ihr Zimmer nicht verlassen, weil sie psychisch so belastet waren. Ein Klient aus Syrien wartet seit zwei Jahren auf seinen Status, weil sein Referent am BFA zu viel zu tun hat. Dem Jungen geht es gar nicht gut, er wollte schon mehrfach Selbstmord begehen. Obwohl wir dem Referenten diese Befunde geschickt haben, ist bisher nichts passiert.

In solchen Fällen zu dolmetschen ist eine große Verantwortung. Aber noch schlimmer ist es, wenn vor Gericht nicht korrekt übersetzt wird. Ich war einmal bei einer Verhandlung, wo der Dolmetscher falsch übersetzt hat. Einmal hat er zum Klienten gesagt: „Hey, du musst schnell etwas sagen, ich hab keine Zeit mehr und bin müde.“ Obwohl der Richter, für den er übersetzen sollte, das gar nicht gesagt hatte. Das darf man nicht machen, das ist sehr unprofessionell und strafbar.

Was ich mir für die Zukunft wünsche?

Familienzusammenführung ist ein riesiges Thema. Dass dafür DNA-Tests verlangt werden sollen, ist eine große Hürde. Eine dreiköpfige Familie muss dafür knapp 1.000 Euro zahlen. Kann das Verwandtschaftsverhältnis bewiesen werden, bekommt man das Geld danach wieder zurück, aber trotzdem können es sich viele nicht leisten, so viel Geld vorzustrecken. Viele unserer Klient*innen haben ohnehin Schulden, weil sie illegal ausgereist sind und das bereits tausende von Dollar gekostet hat.

Und auch dass immer seltener Asylstatus vergeben wird, obwohl Personen verfolgt werden, ist sehr schlimm. Viele bekommen nur noch subsidiären Schutz auf ein Jahr befristet, mit dem sie ihre Familie nicht nachholen können. Man kann seine Familie erst nach drei Jahren nachholen. Das heißt, es kann sein, dass jemand seine Familie erst nach fünf, sechs oder sogar zehn Jahren wiedersieht. Und wenn man hier in Graz wohnhaft ist, passiert es trotzdem manchmal, dass die Familie in Tirol untergebracht wird. Das ist dann einfach eine neue Art von Trennung. Die indirekte Aussage lautet: „Hey, Familienzusammenführung dauert ewig und ist nicht leicht.“ Das schreckt ab.

Ich arbeite in all meinen Bereichen sehr gerne. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass zwar oft geschaut wird, dass bei den Klient:innen alles passt, aber wenig darauf geachtet wird, dass es auch den Mitarbeiter*innen gut geht. Es wäre cool, wenn öfters nach unseren Bedürfnissen gefragt werden würde. Ich habe z.B. ein Fenster im Büro, das nicht abdichtet. Im Winter ist es sehr arg, denn ich habe ein Problem mit dem Handgelenk. Sobald es kalt ist, bekomme ich sofort Schmerzen. Ich habe schon gefragt, ob ich selbst Dichtungen drinnen aufhängen kann, darf ich aber aufgrund von Fassadenschutz nicht. Dass Fassadenschutz wichtiger ist als meine Gesundheit, fühlt sich für mich nicht wertschätzend an.

Wir haben zwar regelmäßig Gruppen-Supervision, aber es ist trotzdem wenig, denn in der Arbeit erleben wir sehr viel. Wenn dann jeder im Team von 12 Leuten fünf Minuten spricht, ist die Einheit schon wieder fast vorbei. Oft stellen wir da Probleme vor, ohne zu Lösungen zu kommen.