„Caritas gestaltet Gesellschaft“ – Ein Abschiedsinterview mit Caritasdirektor Herbert Beiglböck

Herbert Beiglböck übergibt mit Juli sein Amt als Caritasdirektor an Nora Tödtling-Musenbichler.  In seiner Pension wird der Caritas-Gedanke jedoch einen wichtigen Stellenwert behalten. Ein Interview über zukünftige Herausforderungen, Pläne, das Weitermachen, aber auch das Loslassen.

Vor fast sechs Jahren wurden Sie Direktor der Caritas Steiermark. Was haben Sie erwartet, und was ist daraus geworden?
Bevor ich die Stelle des Caritasdirektors übernommen habe, war ich schon zehn Jahre im Kuratorium der Caritas. Das heißt, ich kannte die Aufgaben und weitgehend auch die Bereiche. Trotzdem hat mich einiges noch überrascht. Besonders die Vielfalt in der Caritas. Rückblickend kann ich drei große Ziele benennen, die ich umsetzen wollte und wo sich auch schon Früchte der Arbeit zeigen: Ich wollte, dass die Caritas weiblicher, digitaler und regionaler wird. Weiblich im Blick auf Leitungs- und Führungstätigkeiten. Digitalisierung ist ein Thema, das uns alle angeht und wo man immer am Ball bleiben muss. Regional war die Caritas immer schon, aber das galt und gilt es weiterhin zu stärken – im Besonderen ist uns das mit den Regionalkoordinator*innen als Ansprechpartner*innen und Netzwerker*innen vor Ort gelungen.

Wie hat Sie die Aufgabe als Caritasdirektor verändert?
Ich habe sehr deutlich erlebt, wie unterschiedlich und vielfältig unsere Gesellschaft ist. Zu den großen Privilegien eines Caritasdirektors gehört es, dass er mit den Menschen im Marienstüberl und Flüchtlingsquartieren genauso in Kontakt ist wie mit der Industriellenvereinigung oder mit den Promis beim Weekend-Fest.

Was macht die Caritas für Sie besonders?
Bei der Präsentation zum Wirkungsbericht habe ich die biblische Erzählung von der Brotvermehrung gebracht, die darauf hindeutet, dass wir alle genug zum Leben haben könnten, wenn die vorhandenen Güter gerecht geteilt werden. Dieses Bild gilt in meinen Augen in abgewandelter Form auch für uns als Caritas. Wir haben alle Begabungen und Fähigkeiten, die es braucht, um unsere Gesellschaft gut mitzugestalten. Jeder und jede kann etwas, das ein wichtiger Beitrag ist, damit möglichst viele Menschen gut an unserem gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Ich bin sehr dankbar und froh, dass viele von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den letzten sechs Jahren ihren Beitrag eingebracht haben, so dass wir herausfordernde Jahre erfolgreich bewältigen konnten. Für diesen enormen Einsatz ein ganz großes Danke.

Welche Geschichte eines Klienten oder einer Klientin ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Nach einer Weihnachtsfeier im Ressidorf bin ich mit einem Gast gemeinsam in der Bim nachhause gefahren. Er war ein ehemaliger Bewohner des Ressidorfs, der nun mit einer eigenständigen Wohnung zurechtkam. Er erzählte mir, dass er mit der finanziellen Unterstützung, die er bekommt, Wohnung und Betriebskosten bezahlt und sich danach Bier kauft. Das restliche Geld legt er in eine Urlaubskasse und geht damit einmal im Jahr auf Reisen, beispielsweise nach Portugal. Auf meine naive Frage, ob er dann in einer Obdachloseneinrichtung wohnt, antwortete er: 'Nein, natürlich im Hotel. Ich bin ja auf Urlaub.'  Da habe ich wieder einmal gelernt, wie unterschiedlich Lebensmodelle sein können.

Was bedeutet Caritas für Sie?
Die Aufmerksamkeit für jene, denen es nicht so gut geht. Diesen Menschen zu helfen und zu befähigen, das halte ich für wesentlich und unterscheidet die Caritas von anderen. Wir leisten immer einen Beitrag, dass der jeweilige Mensch einen nächsten Schritt setzen kann, der ihn wachsen lässt.

Gehen Sie mit Wehmut oder guten Mutes?
Ich gehe mit einem dreifachen Gefühl: Erleichtert, weil ich weiß, dass die Caritas Steiermark in guten Händen ist und es gut weitergehen wird. Wehmütig, weil damit eine 40 Jahre andauernde intensive Phase des Gestaltens zu Ende geht. Und neugierig darauf, was mir die nächste Lebensphase bringt.

Wird die Caritas weiterhin ein Teil in Ihrem Leben sein?
Auch wenn ich keine kirchlichen Funktionen mehr innehabe, will ich das, was ich vom Evangelium verstanden habe, in meinem Leben lebendig halten. Und verstanden habe ich, dass das Evangelium eine besondere Aufmerksamkeit für schwächere Menschen hat. Ich möchte weiterhin für die Situation der Menschen aufmerksam bleiben und sie unterstützen.

Was wird die größte Herausforderung der Caritas in nächster Zeit sein?
Es gibt die unmittelbare Herausforderung stark steigender Preise, die die Unterstützung deutlich erhöhen. Es werden mehr Menschen Hilfe brauchen. Mittelfristig wird es Aufgabe der Caritas sein, die von Brüchen gezeichnete Gesellschaft wieder näher zusammenzubringen. Die Caritas soll Brücken bauen und Gegensätze überwinden, damit wir ein Miteinander schaffen, wo möglichst niemand zurückbleibt.

Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Ich werde im nächsten Jahr Abstand nehmen und das Loslassen üben. Nach Distanz von mindestens einem Jahr werde ich nochmals schauen, ob es Aufgaben gibt, die mich reizen. Aber das wird keine Vollzeitstelle sondern eine Aufgabe, die den Kräften, die man noch hat, gerecht wird.

Wie kann das Loslassen gelingen?
Durch Üben und Wollen.

Zum Abschluss haben Sie einen Wunsch an die Regierung frei – was ist aus Ihrer Sicht gerade am dringendsten?
Oh, ich hätte viele Wünsche. Aber im Blick auf die Ärmsten unserer Gesellschaft finde ich eine Neugestaltung des Sozialhilfegesetzes, unter Berücksichtigung langzeitarbeitsloser Menschen, absolut dringend. Die Mindestsicherung war schon keine optimale Lösung, aber das aktuelle Modell ist ein bürokratisches Monstrum. Es geht hier um das letzte staatliche Netz, das auffängt. In seiner jetzigen Form ist es schwach und löchrig. Auch für die Schwächsten müssen Teilhabe und ein halbwegs gutes Leben gewährleistet sein.