Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen, Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz und Volkshilfe zur aktuellen Asyl-Politik
Die unterzeichnenden Organisationen sind in großer Sorge, dass die aktuelle österreichische wie europäische Asylpolitik nicht mehr primär dem Schutz von Flüchtlingen dient, sondern dem Schutz von Grenzen. Die Zahl von Flüchtlingen nimmt weltweit zwar zu, die Zahlen derer, die in Europa und Österreich ankommen, sinken aber deutlich. Die meisten Menschen fliehen aus Syrien, Afghanistan, dem Südsudan, Myanmar und Somalia – Konfliktgebiete, für die keine Lösung in Sicht ist.
Die unterzeichnenden Organisationen appellieren an die österreichische Bundesregierung, Verantwortung für den Flüchtlingsschutz in Österreich und Europa zu übernehmen. Das bedeutet konkret:
Wir wenden uns gegen die Zurückweisung von schutzsuchenden Menschen an der europäischen Grenze.
Schutzsuchende müssen zu einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren in Europa Zugang haben. Wenn selbst wohlhabende Nationen ihre Grenzen für Flüchtlinge verschließen, werden andere Staaten diesem Beispiel folgen. Zu einem rechtsstaatlichen Verfahren gehört, dass Gerichte Behördenentscheidungen überprüfen und korrigieren können. Dies ist bei Schnellverfahren an den Grenzen (Hotspots) nicht gewährleistet.
Wir fordern eine solidarische Aufnahme von Schutzsuchenden in der EU statt nationaler Abschottung.
Innerhalb Europas legt die „Dublin III-Verordnung“ fest, welcher Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Eine Zurückweisung an der Grenze ohne Feststellung des zuständigen Mitgliedsstaates ist rechtswidrig. Eine Reform des Dublin-Systems ist dringend erforderlich. Statt nationaler Alleingänge an den Grenzen bedarf es einer solidarischen Aufnahme, bei der den Staaten an den südlichen Außengrenzen nicht die alleinige Verantwortung zugeschoben wird. Die Interessen der Schutzsuchenden müssen berücksichtigt werden.
Wir wenden uns gegen die Vorschläge, Schutzsuchende in Staaten vor Europas Grenze „aus- bzw. zwischenzulagern“.
Das individuelle Recht auf Asyl kann nicht durch die Aufnahme einiger weniger Ausgewählter ersetzt werden. Wir begrüßen die Einrichtung legaler Zugangswege und setzen uns für eine massive Aufstockung des Resettlement-Programms des UNHCR ein. Die weltweite Gültigkeit des individuellen Flüchtlingsschutzes darf aber nicht in Frage gestellt werden. Dies gilt insbesondere für die aktuell diskutierten Pläne, Schutzsuchende zur Durchführung ihres Asylverfahrens nach Nordafrika zurückzuschieben und nur einige wenige von ihnen im Wege des Resettlements aufzunehmen.
Wir fordern die Einhaltung des Verbots, Menschen der Folter und unmenschlicher Behandlung auszusetzen.
Laut der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte darf niemand in einen Staat zurückgeschoben werden, in dem ihm Folter oder unmenschliche Behandlung droht. Außerdem muss der Zugang zu einem fairen rechtsstaatlichen Asylverfahren gewährleistet sein. Dies ist gegenwärtig in den nordafrikanischen Staaten nicht gewährleistet.
Es ist belegt, dass Menschen in nordafrikanischen Lagern gefoltert werden, struktureller (sexueller) Gewalt ausgesetzt sind und auf Sklavenmärkten verkauft werden. Staatliche Strukturen, die das zu unterbinden hätten, funktionieren nicht.
Wir fordern ein klares Bekenntnis der EU und ihrer Mitgliedstaaten zur Aufrechterhaltung des zivilisatorischen Selbstverständnisses, Menschen nicht Folter und unmenschlicher Behandlung auszusetzen.
Wir fordern die Rettung von Menschen in Seenot im Mittelmeer und ihre Ausschiffung in den nächsten europäischen Hafen.
Die Europäische Union muss endlich wirksame Schritte einleiten, um Menschen aus Seenot zu retten. Zivile Seenotrettungsorganisationen dürfen nicht an ihrer Arbeit gehindert werden. Das Recht auf Leben gilt auch auf Hoher See. Am Umgang mit Flüchtlingen zeigt sich, wie verlässlich das Versprechen Europas ist, die Menschenrechte einzuhalten. Wird die Verantwortung für den Schutz der in Europa ankommenden Menschen negiert, wird damit zugleich die universelle Geltung der Menschenrechte in Frage gestellt. Es liegt in unserem eigenen Interesse, unser demokratisches und menschenrechtlich begründetes Gemeinwesen vor einer Erosion zu bewahren.
Wir fordern Unterstützung bei der Integration und wenden uns dagegen, dass Angst vor Geflüchteten geschürt wird.
Ziel gelingender Integration ist ein friedliches und respektvolles Miteinanderleben. Nur wenn das gelingt, kann jeder Mensch in Österreich seine angeborene Würde und seine gleichen und unveräußerlichen Rechte wahrnehmen und leben. Dafür ist es wichtig, dass geflüchtete Menschen als Teil unserer Gesellschaft wahrgenommen und bei ihrer Integration unterstützt werden. Wir brauchen einen faktenbasierten, lösungsorientierten öffentlichen Diskurs und gegenseitige Unterstützung.
Die Ängste der Menschen müssen verstanden werden. Ihnen sollte aber mit Aufklärung, Information und Begegnung entgegengewirkt werden. Es ist Zeit, den Blickwinkel zu erweitern und eine Kultur der Offenheit in Österreich zu stärken.
Wir fordern mehr Hilfe vor Ort: Steigerung der bilateralen direkten Entwicklungszusammenarbeit um jährlich 15 Mio. Euro bis 2021 und Aufstockung des Auslandskatastrophenfonds.
In einer Zeit, in der weltweit mehr als 65 Millionen auf der Flucht sind und 800 Millionen Menschen an Hunger leiden, muss die Bundesregierung ihr Vorhaben, sich für diese ärmsten Menschen vor Ort einzusetzen, ernst nehmen.
Wir fordern ein Ende der Kriminalisierung zivilgesellschaftlichen Handelns.
In einigen EU-Mitgliedstaaten gibt es Tendenzen, zivilgesellschaftliches Handeln auf Basis der Menschenrechte als „Unterstützung illegaler Migration“ zu diffamieren und kriminalisieren. Wir fordern von der EU und ihren Mitgliedstaaten ein klares Bekenntnis zur Geltung und Durchsetzung der universal und unteilbaren Menschenrechte. Dazu gehört auch, zivilgesellschaftliches Engagement und den Einsatz für die Menschenrechte durch nichtstaatliche Akteure bedingungslos als Fundament eines friedlichen Zusammenlebens anzuerkennen und wertzuschätzen.
Wir verurteilen populistische Aufrufe von Politikern und Politikerinnen, menschenrechtlich agierende Nichtregierungsorganisationen zu diffamieren. Wir lehnen legislative Maßnahmen, die menschenrechtliches Handeln kriminalisieren, entschieden ab.