Caritaspräsident Landau im Südsudan: Bitte unterstützen Sie uns im Kampf gegen den Hunger!"

Der Südsudan kommt nicht zur Ruhe. Kriegerische Auseinandersetzungen im Inneren zwingen knapp zwei Millionen Menschen zur Flucht. Jedes dritte Kind ist unterernährt. Caritaspräsident Michael Landau war vor Ort und berichtet über die dramatische Situation und die Hilfe der Caritas.

Ab wann wird aus einer Situation der Ernährungsunsicherheit eine Hunger-Katastrophe? Wie lange „reicht das Essen schon noch irgendwie aus“ und ab wann ist es bitterste Not? Ab wann sterben die Kinder an Hunger, ab wann geht es um Leben oder Tod?

Die Vereinten Nationen definieren die Ernährungssicherheit eines Landes oder einer Region anhand von 5 Stufen. Stufe 4 beschreibt einen humanitären Notfall, das heißt mehr als 15 Prozent der Bevölkerung sind akut unter- und mangelernährt und haben nur sehr eingeschränkten Zugang zu Nahrungsmitteln. Die letzte Stufe 5 „Famine“ bezeichnet eine absolute Hungerkatastrophe, die schon völlig außer Kontrolle geraten ist.

Welche Situation gibt es hier im Südsudan, dem jüngsten Staat der Welt? Große Teile des Landes werden derzeit von der UN in die Stufe 4 eingereiht, das heißt Hunger ist überall präsent. Die Situation hat sich in den vergangenen 18 Monaten dramatisch zugespitzt. Im November 2013, vor Ausbruch der Gewalt, waren es noch 900.000 Menschen, die im Südsudan von akutem Hunger bedroht sind, zu Beginn des Jahres waren es 2,5 Millionen Menschen, neuesten Meldungen des UN-Koordinators Toby Lanzer sind es 4,5 Millionen Menschen.

Das ist innerhalb von 18 Monaten eine Verfünffachung der Zahl jener, die nicht wissen, wie sie ihre Familie ernähren sollen. 250.000 Kinder sind ihm zufolge vom Hungerstod bedroht. Mit dem Südsudan hat der Hunger damit einen weiteren tragischen Schauplatz gefunden. Wir müssen jetzt helfen, bevor es zu spät ist!

 „Hölle im Südsudan“ – so lautet ein Kapitel, das Jean Ziegler in seinem jüngsten Buch „Ändere die Welt“ dem Südsudan widmet und wo er die jüngsten Gräueltaten zwischen den ethnischen Gruppen beschreibt. Kaum entstanden, droht der Staat im Südsudan wieder zu zerfallen. Nach einem Jahr der ethnischen Gewalt ist das Leben vieler Südsudanesen erneut zerstört. Der brutale Konflikt hat bereits zehntausende Todesopfer gefordert und zentrale Teile des Landes vernichtet. Fast zwei Millionen Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben, davon sind ca. 500.000 Menschen in die Nachbarländer geflohen, 1,5 Million Menschen sind innerhalb des Südsudans vertrieben. Sie haben ihre Lebensgrundlagen verloren und sind deshalb fast alle auf Nothilfe angewiesen. Gewaltkonflikte sind einer der Gründe für den globalen Hunger. Sie führen zu wirtschaftlicher Stagnation, zu Zerstörung lokaler Infrastruktur, zu erzwungener Migration und zu noch mehr Hunger. Familien können ihre Felder nicht mehr bebauen, die Bevölkerung ganzer Dörfer muss flüchten und ist vollständig von Hilfe von außen abhängig.

Die Caritas ist seit Jahren im Südsudan tätig. Die derzeitige Situation stellt uns vor gewaltige Herausforderungen und wir tun alles, um den Menschen zur Seite zu stehen. Sie sehen während der Reise Regionen und Projekte, in denen das ganze Ausmaß des Hungers sicht- und spürbar wird. Und Projekte, die nicht nur auf die akute Überlebenssicherung abzielen, sondern Hoffnung und langfristige Perspektive geben. Wir müssen einerseits vielen Menschen in der Kriegssituation mit überlebensnotwendigen Dingen versorgen und Nothilfe leisten, andererseits aber auch den Blick in die Zukunft  nicht aus den Augen verlieren und langfristige Aufbauhilfe, Bildung und Selbstversorgung ermöglichen.

Die Caritas betreibt gemeinsam  mit der südsudanesischen Vinzenzgemeinschaft ein Zentrum zur Versorgung von unterernährten Kindern in Juba. Der Südsudan gehört zu jenen Ländern, in denen die meisten Kinder hungern. 31% Prozent der Kinder unter fünf Jahren (d.h. fast jedes dritte Kind) sind unterernährt. Doch Unterernährung, vor allem bei Kindern unter zwei Jahren, hat dramatische Folgen: Sie haben ein immens hohes Risiko, ihren 5. Geburtstag nicht zu erleben; sie bleiben viel zu klein, lernen viel schwerer und haben damit die schlimmsten Startbedingungen für ihr noch so junges Leben.

In zwei Baby Feeding Centers versorgt die Caritas etwa 600 Kinder bis zum Alter von 5 Jahren. Sie erhalten ergänzend zu den meist sehr spärlichen Mahlzeiten zuhause dreimal wöchentlich nahrhaftes Essen. Linsen, Reis, Bohnen, Gemüse und manchmal ein Ei helfen, die schlimmsten Folgen von jahrelanger Mangelernährung zu lindern. Seit Ausbruch der Gewalt sind die Preise für die Lebensmittel dramatisch angestiegen, die Schwestern wissen oft nicht, wie sie die Nahrung für die vielen unterernährten Kinder bezahlen sollen.

Wir haben ein Überlebenshilfe-Programm für etwa 5.000 Menschen besucht, die vor Gewalt und drohendem Tod geflüchtet sind. Im Südsudan sind mindestens 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Viele kommen nach Juba, weil sie hoffen, hier in der Hauptstadt Hilfe und Unterstützung zu bekommen. Gemeinsam mit unserer Partnerorganisation versorgt die Caritas derzeit rund 900 Flüchtlings-Familien, die sich in einer Grundschule in Juba aufhalten. Der Großteil der Betroffenen sind Frauen, Kinder und ältere Menschen. Die Menschen werden mit Lebensmitteln - Maismehl, Bohnen, Öl und Salz - versorgt, sie bekommen Nothilfepakete mit Decken und Seife sowie Planen, Pfosten und Bambus, damit sie sich eine eigene Unterkunft zimmern können.

Abseits der Nothilfe unterstützen wir da, wo es die Situation zulässt, die Bevölkerung bei der langfristigen Ernährungssicherung. Eine riesige Chance, um die Produktion von Nahrungsmitteln zu steigern, die Ernährungssicherheit zu verbessern und die Anfälligkeit gegen Krisen zu reduzieren, liegt darin, das enorme Potenzial der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in der Region Tombura-Yambio als Kornkammer des Südsudan zu erschließen und ihre Funktion als Rückgrat eines nachhaltig angelegten Ernährungssystems zu stärken. Im Mittelpunkt der Programme der Caritas stehen dabei Methoden, die eine lokal angepasste, ökologisch verträgliche sowie rationelle Bewirtschaftung vorhandener Ressourcen ermöglichen und langfristig sicherstellen. Auf lokaler und nationaler Ebene wird der Dialog mit Regierungsvertretern gesucht, um legale Rahmenbedingungen für Kleinbauern positiv zu beeinflussen. Damit werden Initiativen gesetzt, die das Ziel verfolgen, den Zugang kleinbäuerlicher Familien zu landwirtschaftlichen Anbauflächen langfristig zu erhalten und deren Ausverkauf an ausländische Investoren, Stichwort Landgrabbing, zu verhindern. Im Jahr 2014 haben 800 kleinbäuerliche Familien von den Programmen der Caritas im Bereich der nachhaltigen Landwirtschaft profitiert und somit einen wesentlichen Schritt aus der Armut gesetzt. Dieses Projekt wird von der Caritas jährlich mit 150.000 Euro unterstützt.

Der Kampf gegen den Hunger ist ein Schwerpunkt des globalen Caritasnetzwerkes mit seinen über 160 Caritasorganisationen. End Hunger By 2025 ist das erklärte Ziel und stützt sich darauf, dass es in den vergangenen Jahren durchaus Erfolge im Kampf gegen den Hunger gegeben hat. Heute leiden weltweit 167 Millionen Menschen weniger an Hunger als noch vor 10 Jahren, die Kindersterblichkeit konnte seit Beschluss der Millenniumentwicklungsziele halbiert werden, d.h. dass heute jährlich 3 Millionen Kinder weniger an Hunger sterben als damals. Viele dieser Erfolge sind auch auf Entwicklungshilfe zurückzuführen, die Investitionen in Trinkwasserversorgung, Impfkampagnen, ländliche Entwicklung und Überlebenssicherung in Katastrophenfällen ermöglicht hat. Im Herbst wird die Staatengemeinschaft bei der UN-Generalversammlung die neuen Entwicklungsziele, die so genannten Sustainable Development Goals, beschließen. Der derzeitige Entwurf sieht ein Ziel 2 zur Beendigung des Hungers bis 2030. Die Caritas setzt sich dafür ein, dass eine Zukunft ohne Hunger für alle Menschen Realität wird. Deshalb sind wir diese Woche auch hier im Südsudan - um dieser Tragödie wieder und unaufhörlich Gehör zu verschaffen und um als Caritas mitzuhelfen, dass der Hunger reduziert wird.

 

Wir rufen dazu auf, uns im Kampf gegen den Hunger zu unterstützen:

2015 ist ein Schlüsseljahr die Bekämpfung des Hungers und der Armut in der Welt. Die EU hat es auch zum „Europäischen Jahr für Entwicklung ausgerufen“, im Juli wird die Staatengemeinschaft in Addis Abeba bei der Konferenz zu Entwicklungsfinanzierung, entscheiden, wie sie alle Mittel – nicht nur Entwicklungshilfemittel – mobilisieren kann, um die Welt von Armut und Hunger zu befreien. Im Herbst 2015 wird die UN die Nachfolgeziele Millenniumentwicklungsziele, die 17 sogenannten Sustainable Development Goals beschließen. Viel wurde in den vergangenen Jahren erreicht.  Doch gerade in den ärmsten Ländern Afrikas sind die Fortschritte viel zu gering. Entwicklungshilfeprogramme müssen auf diese Länder, in denen Gewalt und Krieg herrscht und die von der Weltwirtschaft völlig isoliert sind, fokussiert werden.

Humanitäre Hilfe ist gerade in stillen Katastrophen überlebenswichtig. Ich rufe die österreichische Bundesregierung auf, den Auslandskatastrophenfonds (AKF) auf 20 Millionen Euro zu erhöhen. Im Regierungsprogramm hat die Bundesregierung eine Erhöhung des AKF festgelegt. Einen gut dotierten Auslandskatastrophenfonds braucht es gerade für sogenannte stille Katastrophen, die keine hohe mediale Aufmerksamkeit nach sich ziehen. Katastrophen, wie sie aktuell im Südsudan stattfinden.

 

Förderung der nachhaltigen kleinbäuerlichen Landwirtschaft: Die Kleinbauern haben den Schlüssel zur Ernährungssicherung in der Hand, sie produzieren 70% der weltweiten Lebensmittel. Es geht darum, die lokale ökologische Produktion von Nahrungsmitteln zu fördern und den Kleinbauern Zugang zu lokalen und regionalen Märkten zu ermöglichen. So können sie genug für sich selbst produzieren und einen Teil der Ernte auch verkaufen. Die internationale Staatengemeinschaft gibt derzeit viel zu wenig für die Förderung nachhaltiger kleinbäuerlicher Landwirtschaft in den ärmsten Ländern der Welt aus. Der Anteil an der gesamten Entwicklungshilfe, den die Europäische Union und ihrer Mitgliedsstaaten für Landwirtschaft ausgibt, liegt bei nur 5% und sollte auf mindestens 10% erhöht werden.

 

Gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung der Unterernährung bei Kindern:

Wie können wir den Hungertod von tausenden Kindern im Südsudan verhindern? Wie vermeiden, dass sie aufgrund von akuter Mangelernährung ihr Leben lang in ihrer Entwicklung beeinträchtigt sind? Es braucht fokussierte Interventionen zugunsten von unter- und mangelernährten Kindern. Die lokalen Regierungen sowie die Geberländer von Entwicklungshilfe müssen gezielt in Ernährungsprogramme investieren, wie in Beratung der Familien, Bereitstellung von Spezialnahrung, therapeutische Betreuung von akut unterernährten Kindern sowie in Basisgesundheit.

 

In Österreich braucht es dringend eine Erhöhung der staatlichen Mittel für direkte Programmhilfe: Österreich kann und muss einen viel stärkeren Beitrag zur Beendigung von globaler Armut und Hunger leisten. Die 0,7% können erreicht werden. Besonderer Schwerpunkt soll dabei auf die direkte bilaterale Programmhilfe (= Mittel der Austrian Development Agency, ADA) gelegt werden – damit kann es einem kleinen Land wie Österreich gelingen, eine Vorreiterrolle einzunehmen und den Kampf gegen globale Armut und Hunger aktiv mitzugestalten. Deshalb braucht es:

 

-      Sofortiges zur Verfügung-Stellen der seit 2010 in der direkten bilateralen Programmhilfe gekürzten 60 Millionen €.

-      Erhöhung der direkten bilateralen Programmhilfe (Budgetmittel für die Austrian Development Agency) von derzeit 77 Mio. € auf 100 - 200 Mio. € im Jahr 2016 und Im Zuge der Umsetzung des Stufenplans Erhöhung der direkten bilateralen Programmittel auf 300-500 Mio. € bis 2018.

 

Hilfe gegen Hunger