"Im Iran eine weibliche Künstlerin zu sein, ist ein täglicher Kampf."

Triggerwarnung: In diesem Beitrag geht es um sexualisierte Gewalt.

Wie bist du zur Caritas gekommen?

Als ich aus dem Iran nach Graz gekommen bin, war mir die Caritas kein Begriff. 2012 hatte mich eine Afghanin kontaktiert, die Hilfe brauchte. Sie hatte Probleme mit ihrem gewalttätigen Mann. Ich habe sie zu Divan begleitet und dort übersetzt. Die Divan-Mitarbeiterinnen haben mich daraufhin gefragt, ob ich bei ihnen anfangen möchte. Bald danach habe ich tatsächlich bei der Caritas angefangen und bin sehr zufrieden damit, dass ich meine künstlerische Identität mit der sozialen Arbeit verbinden kann. Als Beraterin bei Divan bin ich zuständig für die Frauen aus dem Iran und aus Afghanistan. Nach dem Femizid einer Afghanin in Graz 2021 habe ich mit Pop-up-Chai angefangen – einem Community-Projekt zur Gewaltprävention. Aktuell haben wir ca. 400 Frauen in unserer Projekt-Datenbank. Nebenbei bin ich noch Fotokünstlerin, Kuratorin und arbeite im Verein Xenos mit.

 

In deiner Arbeit geht es viel um Themen wie Femizid, Zwangsheirat, Gewalt an Frauen usw. Wie schaffst du es, dich mit diesen Themen zu beschäftigen?

Vielleicht aufgrund meines Backgrounds. Ich war bereits im Iran sehr aktiv im Bereich Frauenrechte und dort ist alles noch einmal ganz anders. Ich habe zum Beispiel mit minderjährigen Frauen in Gefängnissen gearbeitet, die kurz vor der Hinrichtung standen. Als Studentin habe ich verbotene 8. März-Veranstaltungen organisiert. Ich war stets im Kampf gegen das Patriarchat und mächtige Männer. Mit meiner Fotografie konnte ich viele soziale Themen zur Situation von Frauen beleuchten. Im Iran eine weibliche Künstlerin zu sein, ist ein täglicher Kampf. Doch meine Kamera war immer ein Ventil für mich.

 

Hattest du nie Angst?

Ein ungutes Gefühl bleibt immer. Aber ich freue mich, dass die junge Generation an Frauen im Iran so kämpft. Viele haben keine Angst vor der Macht. Sie sind die Social-Media-Generation. Sie kennen die Situation von Frauen in Europa, den USA und anderen demokratischen Ländern und kämpfen dafür.

Wie empfindest du die Protestkultur in Österreich im Vergleich zu jener im Iran?

Sehr unterschiedlich. Protest im Iran bedeutet, dass du vielleicht nicht mehr nach Hause kommst. Gerade als Frau im Iran auf eine Demonstration zu gehen, ist eine sehr mutige Entscheidung. Ich kann mich erinnern, als ich 2009 zum ersten Mal auf einer 8. März-Demo in Graz war ... Da gab es Musik und Tanz und keine Angst.

 

Worauf hoffst du in Hinblick auf die Zukunft?

Ich hoffe, dass junge Menschen die Demokratie und die Rechte, die es hier gibt, nutzen. Demokratie ist hier wie Luft. Man bemerkt nicht, dass sie da ist, bis sie verschwindet. Viele Menschen in Diktaturen wünschen sich, nur eine Minute dieser Situation erleben zu können.

 

Welche Wünsche hast du an die Zukunft im Hinblick auf deine Arbeit?

Wenn du in der Caritas arbeitest, wirst du Zeugin davon, was in der Welt los ist. Gerade im Marianum gehen viele Menschen ein und aus. Du siehst die Armut. Du siehst, was der Krieg mit Menschen macht. Und du siehst so viele, die von Gewalt betroffen sind. Darum wünsche ich mir eine bessere Zukunft für alle, ohne Krieg, Vertreibung und Gewalt. Gleichzeitig rücken leider immer mehr Menschen nach rechts. Ich wünsche mir, dass wir ein bisschen offener werden, anstatt uns immer mehr zu verschließen. Nur leider haben wir nicht gelernt, zusammenzuleben. Divan und Pop-up-Chai laufen gut. Doch wir müssen noch mehr offene Türen für diese Community schaffen, auch als Gesellschaft. Wird die Gesellschaft offener, dann haben wir weniger isolierte und mehr selbstbewusste Frauen. Nach zwei Jahren unseres Pop-up-Chai-Frauenprojekts sehe ich, wie viele unserer Teilnehmerinnen selbstbewusster und auch solidarischer geworden sind.

 

Wie könnten wir das Zusammenleben konkret lernen?

Ich glaube sehr stark an Bildung, an Lernen, Lesen und Erkunden. Wir brauchen richtige Informationen. Viele schimpfen über Flüchtlinge, ohne dass sie selbst jemals Kontakt zu geflüchteten Menschen hatten. Oft entwickeln wir Vorurteile über andere Menschengruppen, zum Beispiel durch Medienberichte. Deswegen ist es so wichtig, dass wir über zwischenmenschliche Begegnungen positive Erfahrungen machen. Meine Kunst ist für mich ebenfalls ein sehr wichtiger Zugang, um viele Menschen auf Frauenthemen aufmerksam zu machen. Für Divan habe ich zum Beispiel in einem Fotoprojekt zur Aktion „16 Tage gegen Gewalt“ Zitate von Divan-Klientinnen mit meinen Fotografien verbunden. Die Ausstellung war sehr lange in der Caritas zu sehen. Darum ist Kommunikation und Hinterfragen so wichtig. Wir müssen unsere Angst vor dem Unbekannten heilen.