„Auf der Straße trifft sich die Szene, da sind wir zu Gast.“

Wie lange arbeitest du schon bei der Caritas?

2012 habe ich als Zivi im Flüchtlingsbereich angefangen. Da habe ich gemerkt, dass ich wohl doch nicht der beste Informatiker der Welt werde, sondern besser mit Menschen kann. Deswegen bin ich bis heute geblieben.

Seit sechs Jahren arbeitest du beim Kontaktladen und in der Streetwork im Drogenbereich. Was umfasst dein Arbeitsbereich alles?

Unsere Einrichtung besteht aus vier Säulen. Die jüngste Säule ist Triptalks, das Drug Checking. Klient*innen können uns ihre Substanzen vorbeibringen und wir lassen sie in einem Labor testen. Das wird nicht nur von suchterkrankten Menschen genutzt, sondern auch Leuten die am nächsten Festival verantwortungsvoll konsumieren wollen. Beim Journaldienst und Öffnungszeiten können Menschen einfach vorbeikommen, duschen, essen, Spritzen tauschen und Beratung in Anspruch nehmen – alles sehr niederschwellig. Bei besonderem Bedarf gibt es noch die Säule der Einzelfallhilfe. Das kann auch ein Besuch Zuhause oder im Gefängnis sein. Und die letzte Säule ist die Streetwork. Da bringen wir unser Angebot auf die Straße. Wir besuchen unsere Zielgruppe an den typischen Szeneorten wie Hauptplatz, Herrengasse, Schmiedgasse, Jakominiplatz, Parks, ... Kommen die Leute in den Kontaktladen gelten unsere Regeln. Auf der Straße trifft sich die Szene, da sind wir zu Gast. Wenn niemand mit uns reden mag, drängen wir uns nicht auf.

Wie schaut die Arbeit auf der Straße aus?

Streetwork ist flexibel, wir wissen nie genau was passiert. Manchmal sitze ich 20 Minuten am Hauptplatz ohne, dass jemand mit mir redet. Manchmal muss ich die Rettung rufen, weil es jemandem nicht gut geht. Einmal bin ich im Versorgungsschacht eines Abwasserkanals gelandet und hab dort ein Beratungsgespräch geführt.

Wer ist die Hauptzielgruppe des Kontaktladens?

Opiatkonsumierende, substituierte und polytoxikomane Menschen, also Personen, die verschiedene Substanzen konsumieren.

Wie viele Klient*innen schaffen es, aus der Suchterkrankung rauszukommen?

Grundsätzlich ist das eine chronische Erkrankung. Ein Drittel der Klient*innen findet jedoch einen Weg damit umzugehen und wird abstinent. Ein Drittel schafft es nicht und bleibt in der Einrichtung. Und ein Drittel verstirbt.

Wie ist es für dich in einem Bereich zu arbeiten, wo ein Drittel deiner Klient*innen verstirbt?

Es ist nicht immer leicht. Immerhin lernt man die Menschen in sechs Jahren doch ganz gut kennen. Ich denke, dass wir dafür alle unsere Mechanismen entwickeln mussten. Ich nehme mir aktiv Zeit, um noch einmal bewusst an die verstorbene Person zu denken. Dafür setze ich mich manchmal hin als hätten wir ein Beratungsgespräch. Danach lösche ich die Nummer aus meinem Handy und lege den Eintrag im Dokumentationssystem still. So schließe ich für mich ab. Außerdem haben wir ein Gedenkbuch und mit unserem Seelsorger wollen wir noch ein Lebenseck gestalten, damit unsere Besucher*innen auch einen Platz zum Trauern haben. Was auch hilft, sind der starke Teamzusammenhalt und die Abgrenzung zwischen Beruflichem und Privatem.

Wie gut funktioniert das, wenn sich deine Arbeit auf der Straße abspielt?

Es ist schwierig. Es passiert mir immer wieder, dass ich in meiner Freizeit Klient*innen treffe. Die meisten akzeptieren aber meine Privatsphäre. In Notfällen helfe ich trotzdem. Aber das würde ich auch tun, wenn ich nicht Streetworker wäre.

Gibt es irgendein Erlebnis, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ein Klient, den ich intensiv begleitet habe, wurde während meines Urlaubs abgeschoben, obwohl er EU-Bürger war. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Aber es gibt auch viele schöne Momente, wenn Leute, die eh schon so ein großes Packerl zu tragen haben, Erfolge schaffen. Das kann alles sein von "Ich konsumier statt 13 Substanzen nur noch vier." bis hin zum Klienten, der auf einmal mit dem Auto zu uns auf einen Kaffee vorbeischaut.

Welche Auswirkungen hat das Alkoholverbot in der Grazer Innenstadt für eure Klient:innen?

Das Verbot hat die Menschen nur zu anderen Orten verdrängt. So ist das berühmte Billa-Eck entstanden. Alkohol wird nun oft versteckt konsumiert oder Strafen werden in Kauf genommen. Die Menschen lassen sich nicht vertreiben, sie bleiben im öffentlichen Raum.

Können die Klient*innen Strafen überhaupt zahlen?

Oft nicht, da sie kein richtiges Einkommen haben. Strafen bringen meiner Meinung nach nichts, weil der Konsum ein fixer Teil ihrer Lebenswelt ist. Im Endeffekt werden sie für ihre Erkrankung bestraft.

Hast du eine Idee warum der Hauptplatz als Standort so wichtig ist, obwohl schon mehrfach versucht wurde eure Zielgruppe von dort zu verdrängen?

Der Platz hat sich als Treffpunkt einfach etabliert und der öffentliche Raum ist ja auch für alle da. Nur sind manche Menschen anscheinend lieber gesehen als andere. 

Viele Menschen stellen sich vor, dass eure Klient*innen den ganzen Tag gar nichts zu tun zu haben und deswegen so viel konsumieren. Stimmt das?

Nein. Unsere Klient*innen haben oft Arztbesuche, Harnproben, müssen Rezepte zum Gesundheitsamt bringen, AMS-Termine, Sozialamt, PVA, ÖGK usw. Das alles ist sehr stressig, besonders bei einer Mehrfachsuchterkrankung und psychischen Erkrankungen. Einer hat einmal zu mir gesagt: "Ich weiß, das wird mich im Endeffekt umbringen, aber die 20 oder 30 Sekunden Stille in meinem Kopf pro Tag sind's wert."

Gibt es sonst noch Vorurteile, mit denen du aufräumen möchtest?

Viele denken, dass unsere Zielgruppe entweder furchtbar arm oder unangenehm ist. Aber niemand fragt sie direkt: "Was braucht ihr?" Manchmal reicht es, die Klient*innen einfach nur reden zu lassen. Sie werden dir sagen, was sie brauchen. Das ist eine der wichtigsten Dinge, die wir in der Einrichtung machen.

Gibt es noch etwas das du abschließend mit uns teilen möchtest?

Den jungen Männern möchte ich sagen: Macht's Zivildienst! Ohne wäre ich nicht draufgekommen, dass die Sozialarbeit so gut für mich passt.